Newton in New England
von Carsten Spengemann
Nach
monatelangem Rätselraten, wo Cam Newton landen würde, platzte die
Bombe. Nicht, wie viele spekuliert hatten, in Jacksonville, sondern in
New England findet Cam seine neue sportliche Heimat. Auch wenn es auf
den ersten Blick so wirkt, als hätte sich das Bostoner
Philharmonie-Orchester Justin Bieber als neuen Dirigenten geholt, macht
dieser Move der Patriots doch durchaus Sinn.
Wenn
man einen Blick auf den Quarterback-Room der Pats wirft, wird einem
schnell klar, dass der junge Stidtham vielleicht der Mann der Zukunft
ist, aber dass du mit ihm noch nicht garantiert ’nen Blumentopf in der
erstarkten AFC East gewinnen kannst. Und nach so vielen Jahren des
sportlichen Erfolgs können sich die Patriots für ihre Fans nicht mit ein
oder zwei Neuaufbaujahren abfinden. So groß ist der eigene Anspruch, da
weiter zu machen, wo man aufgehört hat.
Was
ich persönlich spannend finde, ist die Tatsache, dass wir in der
kommenden Saison eine Frage beantwortet bekommen werden, die immer im
Raum stand, wenn man über den Rekord-Champion aus New England gesprochen
hat: Hat Bill Belichick auch ohne Tom Brady Erfolg?
Geht
oben an der Ostküste der sportliche Plan auf und die Patriots erreichen
mit Newton am Ruder die K.-o.-Runde, dann werden sich nicht nur alle
Pats-Fans ins Fäustchen lachen, sondern der sonst so düster
dreinblickende Bill wird vor Lachen nicht mehr in den Schlaf kommen.
Viele Experten, Journalisten und Fans hatten die Pats schon als die rote Laterne der Liga abgeschrieben.
Was
man aber immer gern vergisst, wenn man über die Patriots spricht, ist
die Tatsache, dass sie richtig gut Defense spielen. Und das ist mehr als
die halbe Miete – wenn wir mal an den Super Bowl gegen die Rams denken.
Dass man es jetzt geschafft hat, den NFL-MVP Brady mit Cam Newton (MVP
2015) zu ersetzen, ist ein Coup, wie er eigentlich von keinem anderen
Team hätte vollzogen werden können. Natürlich wurde durch Abgänge wie
Van Noy dieser Mannschaftsteil geschwächt, und dass sich auch noch
Hightower wegen der Angst vor Corona entschieden hat, diese Saison nicht
zu spielen, ist für Belichick noch ein zusätzlicher Schlag ins Kontor,
aber er hat schon aus weniger was Großes gebaut.
Ich
hatte damals richtig Bock, Cam in der NFL spielen zu sehen. Nachdem ich
ein paar seiner Collegespiele für Auburn gesehen hatte, war ich hin und
weg. Ein mega Arm, gepaart mit einem guten Auge. Und sein Wille, Spiele
zu gewinnen, war vielleicht das Beeindruckendste. Er hat nicht nur
sportlich ab seinem ersten Spiel die Liga im Sturm erobert, sondern auch
die Herzen der Panthers-Fans. Und wenn man ehrlich ist, auch die der
gesamten NFL erobert. Egal, ob die nach dem Touchdown verschenkten Bälle
oder seine immer gute Laune via Zahnpasta-Werbungs-Lachen. Er stand für
gute Laune. Für Spaß. Und so war er innerhalb kürzester Zeit das
Gesicht der NFL. Und das tat der Liga gut.
Nach
dem verlorenen Super Bowl der Panthers gegen die Broncos 2016, an dem
Newton definitiv nicht seinen besten Tag hatte, war Cam nicht mehr der
Cam, den man vorher einfach mögen musste. Er präsentierte sich in den
sozialen Medien auf eine Art, die zu dem „Superman“ Newton, der nach
jedem Touchdown ein Kind in den Rängen des Stadions mit dem geschenkten
Ball zum glücklichsten Lebenswesen auf der Welt machte, überhaupt nicht
passen wollte. Vom extrem abstrusen Kopftuchauftritt über diverse Videos
bei YouTube bis hin zu Interviewaussagen, bei denen nur noch
Fragezeichen im Raum standen.
Paradiesvögel
tun jeder Sportart gut, ja! Aber es ist eben auch ein ganz schmaler
Grat zwischen Unterhaltung und Peinlichkeit. Dass er jetzt die Chance
bekommt, all den Kritikern nicht nur die Stirn zu bieten, sondern auch
dies bei einem Team tun kann, mit dem er weit kommen kann, ist für ihn
ein regelrechter Glücksgriff. Für Newton als Spieler, aber eben auch als
Mensch. Denn wenn es eine Franchise gibt, die mit „bunten Vögeln“
gewillt ist zu arbeiten, dann die Patriots. Gronk, Gordon, Brown – all
diese Jungs hätten durch all das, was sie abseits des Feldes
veranstalten, den ein oder anderen GM außerhalb von Boston nicht nur
schlaflose Nächte, sondern auch graue Haare beschert. Somit ist es der
perfekte Nährboden für eine echte, richtige zweite Chance.
Und
wenn man sich den Vertag von Newton genau anschaut, sieht man, dass er
bereit ist, für seine vielleicht letzte Möglichkeit in der Liga auch
alles zu geben. Sogar Ryan Finley, Brett Hundley und noch einige andere
„Clipboardhalter“ verdienen mehr als der ehemalige Rookie des Jahres.
Ja, er kann, wenn alles gut läuft, bis zu 7,5 Millionen US-Dollar
verdienen. Und wenn es nach ihm und den Patriots geht, soll er das auch.
Denn das würde bedeuten, dass der sportliche Plan beider Parteien
funktioniert hat. Dass er aber solch einen Vertrag überhaupt angenommen
hat, zeigt, dass er es allen nochmal beweisen will. Und genau diesen
Biss wird er auch brauchen. Wenn sein Körper nach den ganzen erlittenen
Verletzungen hält und er da weitermachen kann, wo er aufhören musste,
nämlich mal eben in 17 letzten Drives sein Team zum Sieg zu führen, 59,6
Prozent seiner Pässe anzubringen und 182 Touchdowns zu werfen: Dann
macht mir das als Dolphins-Fan schon ein bisschen Angst.
Einen
mobilen Quarterback kannte man in New England in den letzten
Jahrzehnten nun nicht wirklich. Somit war es für jede gegnerische
Verteidigung doch eher simpel, sich auf den Angriff der Patriots
einzustellen. Zumindest in der Theorie. Dass das in den seltensten
Fällen geklappt hat, beweisen diverse Vince Lombardi Trophies, die in
Foxborough rumstehen. Trotzdem wusste man als Gegner, was man bekommt.
Das sieht jetzt anders aus. Belichick und sein Team können in der
kommenden Saison jetzt mit Kreativität ein Playbook erschaffen, das uns
alle überraschen wird.
Dass Bill
aus jedem Pizzaboten, der mit dem Karton in der Hand durch seinen
Vorgarten läuft, den nächsten Pro-Bowl-Spieler macht, hat gefühlt in den
letzten Jahren regelmäßig funktioniert. So wurden in seinem Roster
immer wieder Spieler zu Leistungsträgern, die man so nicht auf dem
Zettel hatte. Dass da jetzt noch ein Spielmacher dazu kommt, der es der
ganzen Welt zeigen will, ist nicht nur der Stoff für einen
Hollywood-Film, sondern auch für Spiele, die ich mir garantiert
anschauen werde.
Sein damaliger
Coach Chris Weinke (ehemaliger NFL-Quarterback) bei der IMG Academy war
damals wie heute voll des Lobes: „Ein Spieler, der extrem gut coachbar
ist. Schnell kann er genau das umsetzten, was man von ihm verlangt.“
Wenn Bill Belichick diesen Cam bekommt, der in seinem Kopf den
Reset-Knopf gefunden hat, dann stehen in New England nicht nur gute,
sondern vielleicht sogar rosige Zeiten bevor.
Denn
was gibt es Besseres aus Sicht der Patriots, als dass ein Satz zu Cam
eine Wirkung haben kann, wie die des berühmten Zaubertranks, in den
Obelix mal gefallen ist: „Jeden Journalisten, der an dir zweifelt, jeder
Fan, der sagte, du bringst es nicht mehr, kannst du jetzt Lügen
strafen, wenn du jetzt rausgehst und das Spiel für uns gewinnst!“