„Nur mit Geduld und unendlicher Liebe kann man sein Kind auf diesem schweren Weg begleiten, ohne Vorwurf, ohne Zwang, ohne Zorn, lediglich als Stütze, als wärmendes Nest.“ Interview mit Anja Kling
Anja Kling, selbst Mutter zweier Kinder im Teenageralter, spielt Susanne: Früher als ihr Film-Ehemann bemerkt sie die Veränderung an Tochter Lara und will ihr helfen. Die gutgemeinte Fürsorge schlägt schnell in Überwachung um, was die Situation verschlimmert …
Im Film „Aus Haut und Knochen“ entdecken Sie als Mutter die Magersucht Ihrer Tochter erst, als sie bereits tief drinsteckt. Hatten Sie persönlich schon Berührungspunkte mit dem Thema „Essstörung“?
Ich war als junges Mädchen für einige Zeit Elevin an der staatlichen Ballettschule Berlin. Dort bin ich erstmals den Themen Magersucht und Bulimie begegnet. Ich musste lernen, dass eine ausgeprägte Essstörung nicht nur ein außer Kontrolle geratenes Schönheitsideal ist, sondern eine ernstzunehmende psychische Erkrankung, der meist schwere seelische Konflikte zugrunde liegen. Deshalb ist eine Heilung so schwer und oft nur mit professioneller Psychotherapie möglich.
Ihre Filmfigur Susanne spürt, dass mit ihrer Tochter Lara etwas nicht stimmt. Nach der Diagnose überwacht sie die Teenagerin regelrecht. Der Vater braucht deutlich länger, um den Ernst der Lage zu begreifen. Warum ist das aus Ihrer Sicht so?
Ich denke nicht, dass man hier mit weiblicher Intuition argumentieren kann. Manchmal sind es auch die Väter, die das Problem der Essstörung wahrnehmen und sofort handeln. In unserem Fall spürt Susanne, dass ihre Tochter sich nicht nur einer kurzzeitigen Laune hingibt, sondern ein größeres, seelisches Problem mit sich herumträgt. Sie beginnt, nach den Ursachen zu forschen, hinterfragt sich selbst und sucht nach Schuldigen, was dazu führt, dass sie ihre Tochter extrem kontrolliert und regelrecht ausspioniert. Das ist sicher nicht der richtige Weg, denn es macht das Vertrauen kaputt. Dennoch reagieren die Angehörigen aus lauter Verzweiflung oft genauso. Eine andere typische Reaktion ist die Verdrängung. Eine „Nicht-wahrhaben-wollen“- oder „Das-gibt-sich-schon-wieder“-Haltung ist dann Zeichen der Hilflosigkeit, so wie hier von Oliver Mommsen dargestellt. So oder so ist es für Eltern extrem schwer, eine Essstörung mitzuerleben und zu ertragen.
Inwiefern hat sich Ihr persönlicher Umgang mit dem Thema „Essstörung“ durch die Arbeit am Film verändert?
Wie gesagt, war das Thema Magersucht nicht neu für mich. Dennoch habe ich mich erstmals mit der mütterlichen Gefühlswelt einer magersüchtigen Tochter auseinandersetzen müssen. Das Entsetzen, das die Diagnose verursacht, die Ohnmacht, wenn man begreift, dass man im Grunde nicht helfen kann, die Verzweiflung darüber, dass man keine Kontrolle mehr hat und die Erkenntnis, dass man nur mit Geduld und unendlicher Liebe sein Kind auf diesem schweren Weg begleiten kann, ohne Vorwurf, ohne Zwang, ohne Zorn, lediglich als Stütze, als wärmendes Nest. Das habe ich durch die Arbeit an unserem Film begriffen, und ich hoffe, dass wir betroffenen Familien in ihrem Kampf ein wenig behilflich sein können.
Auf Social Media posten viele Menschen hübsche und stark überarbeitete Fotos, die nicht der Realität entsprechen. Wie können junge Menschen damit umgehen lernen?
Diese geschönten Bilder werden sich auch in Zukunft nicht vermeiden lassen. Die Technik und das digitale Zeitalter lassen in dieser Richtung immer mehr zu. Man muss also mit seinen Kindern reden, ihnen die „reale“ Welt erklären und sie dazu bringen, das „Ungeschönte“ an anderen und vor allem an sich selbst zu lieben. Ein gesundes, fröhliches Selbstbewusstsein trotzt dann hoffentlich jedem Beauty-Filter.