Zum Hintergrund: Interviews mit Thomas
Schadt und Jan Fleischauer
„Eine kritische Betrachtung
schließt Respekt nicht aus, sondern hoffentlich ganz selbstverständlich mit
ein.“
Thomas Schadt (Drehbuch
und Regie)
Herr Schadt, die FAZ
bezeichnet Sie als „Meister des Dokumentarischen“. Wann kam Ihnen die Idee, die
letzten Tage im Amt von Christian Wulff für das TV aufzuarbeiten?
Thomas Schadt: Nico
Hofmann hat mir das Projekt Anfang letzten Jahres angeboten. Die Idee zu dem
Film entwickelten wir dann gemeinsam. Wir haben die Vorgänge zwischen Dezember
2011 bis Februar 2012 sehr interessiert verfolgt. Für uns stellte das Ganze ein
nahezu klassisches EingeschlossenenDrama dar: Drinnen im Bellevue Christian
Wulff und seine Berater, belagert von den Medien, die außen einen ungeheuren
Druck aufbauen.
Was hat Sie an diesen
Ereignissen fasziniert?
Ich versuchte mir
vorzustellen, wie die „Eingeschlossenen“ mit dieser Belagerung zurechtkommen,
welchen psychischen Belastungen sie dabei ausgesetzt sind, welche Strategien
sie entwickeln, um heil aus der Sache rauszukommen. Was ja am Ende auch
aufgrund individueller Fehler Christian Wulffs nicht geklappt hat. Und ich war
erstaunt und irritiert über das Vorgehen und Verhalten der Medien. Die
Respektlosigkeit und Häme, mit der hier teilweise attackiert wurde, fand ich
abstoßend und einer „Zivilgesellschaft“ unwürdig.
Das Drehbuch entstand in
Zusammenarbeit mit dem SPIEGEL-Journalisten Jan Fleischhauer. Welchen Input bekamen
Sie von ihm?
Jan Fleischhauer ist ein
hervorragender Journalist, der über Christian Wulff und die Gründe für seinen
Rücktritt schon damals besonnen und abwägend geschrieben hat. Er hat für das
Drehbuch fundierte Hintergrundrecherchen beigesteuert und mir mit seiner
journalistischen Erfahrung sehr geholfen, in der Geschichte insgesamt den
richtigen „Tonfall“ zu treffen.
Neben rein
dokumentarischen Elementen hat „Der Rücktritt“ auch einen fiktionalen Teil. Auf
welche Quellen stützen sich Ihre Recherchen?
Fleischhauer und ich
waren bemüht, jede verfügbare Quelle zu nutzen. Dazu gehören selbstverständlich
die Bücher „Affäre Wulff“ von Martin Heidemanns und Nikolaus Harbusch und „Der
böse Wulff?“ von Michael Götschenberg. Aber auch Print-Interviews, mit Bettina
Wulff beispielsweise, haben wir sorgfältig ausgewertet. Geholfen haben zudem
zahlreiche selbst geführte Hintergrundgespräche im Umfeld Christian Wulffs
sowie der Politik und der Medien im Allgemeinen.
Welche Stärken hat das
Genre Doku-Drama für Sie als Autor und Regisseur?
Das Genre des Doku-Dramas
bietet sich für diesen Stoff geradezu idealtypisch an. Auf der einen Seite das
Fiktionale, das sich bemüht, die psychologische und emotionale Innenwelt der
Protagonisten im Schloss nachzuvollziehen. Auf der anderen Seite das
Realmaterial, das nicht nur belegt, wie die Medien über die Vorgänge berichtet
haben, sondern in der Spiegelung mit dem Fiktionalen geradezu erschreckend offenlegt,
wie rücksichtslos, zynisch und oberflächlich teilweise journalistisch
gearbeitet wurde.
Es heißt, Ihnen käme es
„auf jede Regung, jede Nuance“ an. Worauf achten Sie bei Dokumentationen über
lebende Personen?
Im Dokumentarischen
sprechen wir von der „anteilnehmenden Beobachtung“. Das heißt, dass wir
Dokumentaristen einfach möglichst genau hinsehen und uns dabei von der Realität
immer wieder aufs Neue überraschen lassen. Diese Bereitschaft ist enorm
wichtig, um sich ein eigenes Bild machen zu können und nicht nur ein bereits
vorhandenes zu wiederholen. Dazu kommt, dass die Würde der Protagonisten
unantastbar ist. Das ist eine Frage der inneren Haltung, einer Berufsethik, die
mir hier in diesem speziellen Fall besonders wichtig erscheint.
Sie sprachen in Bezug
auf „Der Rücktritt“ auch von einem „Sittengemälde“. Was meinen Sie damit?
Die Vorgänge rund um den
Rücktritt Christian Wulffs haben mir Fragen gestellt. Wie gehen wir in unserer
Gesellschaft eigentlich miteinander um? Wie steht es um den nötigen
gegenseitigen Respekt dabei? Wie öffentlich, wie gläsern wollen wir medial noch
werden? Brauchen wir das Amt des Bundespräsidenten in dieser Form noch? Und wie
sollte jemand charakterlich geprägt sein, der dieses Amt begleitet? Das sind
Fragen, die weit über den konkreten „Fall Wulff“ hinausweisen. Fragen, die sich
damit beschäftigen, wie wir in unserer Gesellschaft miteinander leben
wollen.
Sie sprechen das Thema
Respekt an: Wie lässt sich das mit dem Film vereinbaren?
Sehr gut! Eine kritische
Betrachtung schließt ja Respekt nicht aus, sondern hoffentlich ganz
selbstverständlich mit ein.
Haben Sie in Kai
Wiesinger und Anja Kling Ihre perfekten „Wulffs“ gefunden?
Anja Kling und Kai
Wiesinger sind ganz hervorragende Schauspieler und für mich waren sie, wie der
Cast im Ganzen, ein großes Geschenk. Denn die „Figuren“ fangen ja erst durch
ihre Schauspielkunst an zu leben. Besonders beeindruckt hat mich dabei, dass
sich Anja und Kai weder durch öffentliche Klischees, noch durch den allgemeinen
Druck die „Wulffs“ darzustellen, haben beeinflussen lassen. Sie haben sich
Kraft ihrer eigenen Persönlichkeit in ganz wunderbarer Weise auf darzustellende
Charaktere eingelassen und diese bei aller nötigen kritischen Distanz mit
menschlicher Wärme ausgefüllt.